BSB NORD | INTEGRATION DURCH SPORT Problem, weil wir ja alle die stetig steigenden Zahlen der Badeunfälle kennen, die auf eine ho- he Nichtschwimmerquote zurückzuführen sind. Die Coronapandemie sowie diverse Hallenbad- schließungen haben diese Quote zusätzlich hoch- schnellen lassen. Wir haben viele Personen beispielsweise aus Indien, der Türkei oder Syrien bei uns, die teil- weise sogar direkt am Meer groß geworden sind, aber keinen Bezug zu Wasser haben aufgrund der kulturellen oder auch religiösen Prägung. In einigen Ländern – insbesondere auch in vie- len asiatischen Ländern – ist es einfach nicht so üblich schwimmen oder baden zu gehen, al- lein schon weil der entkleidete Körper ein Tabu ist. Und gerade diese Themen des „Leicht-Be- kleidet-Seins“ und der Nacktheit stellen für den/ die eine*n oder andere*n Sportler*in eine Her - ausforderung dar. Wir hatten mal eine Beschwerde einer Mutter. Sie wollte, dass wir dagegen vorgehen, dass die Frauen sich in der Gemeinschaftsdusche nackt duschen, schließlich müsse sie mit ihren 4- und 6-jährigen Söhnen ebenfalls in die Dusche und sie wolle nicht, dass ihre Söhne so früh schon mit der Nacktheit des anderen Geschlechts kon- frontiert werden. Und wie hast du auf diese Beschwerde reagiert? Das ist auf mehreren Ebenen ein sehr sensibles Thema. Zum einen geht es hier um Körperlich- keit, Nacktheit, Intim- und Privatsphäre, zum anderen prallen hier verschiedene Werte, kul- turelle Prägungen und Vorstellungen von „Nor- malität“ aufeinander. Es ist dementsprechend erstmal sehr wichtig, dass man die Person, die eine Beschwerde äußert, ernst nimmt, dass man es nicht einfach abtut, mit „Ja bei uns ist das halt so“ oder „Hier in Deutschland duscht man aber nackt – komm klar damit“. Ich habe ihr zu- nächst Verständnis entgegengebracht. Ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass ihre Vorstellung von „normal“ gleichwertig ist. Gleichzeitig habe ich ihr auch versucht zu vermitteln – mit sehr viel Fingerspitzengefühl – dass für die allermeisten Sportlerinnen es aber auch etwas ganz Selbst- verständliches ist, in der Gemeinschaftsdusche nackt zu duschen und dies gar nicht weiter hin- terfragen, da genau das deren Verständnis von „normal“ ist. Ich habe ihr dann auch meine Situation geschil- dert: Ich kann in einer gemieteten, städtischen Halle nicht Baumaßnahmen einleiten, um bei- spielsweise eine Familienumkleide einzurichten, dass ich auch nicht in den Duschen Trennvor- hänge oder- wände installieren kann, da es ja nicht meine Halle ist. Wir haben gemeinsam nach niedrigschwelligen Lösungswegen gesucht: Bei- spielsweise könnte auch der Vater mit den Söh- nen in die Herrendusche, wobei auch da Nackt- heit ein Thema sein wird, oder die Mutter bleibt mit ihren Söhnen noch so lang in der Halle und wartet, bis die anderen Frauen fertig sind. Viel- leicht keine optimalen Lösungen aber es signa - lisiert „Ich höre dich, ich nehme dich ernst, lass uns gemeinsam schauen, wie wir das im Rah- men unserer Möglichkeiten angehen können.“ Ich denke, Ziel sollte auch nicht sein, sofort die perfekte Lösung parat zu haben, sondern erste Lösungswege mal zu „testen“ und zu schauen, ob diese Überlegungen funktionieren. Falls nicht, muss wieder neu überlegt werden, welche wei- teren Alternativen in Frage kommen. Das setzt Kommunikation voraus. Stillschweigen schafft kein Verständnis und erst recht keine Lösungen! Da hast du vollkommen Recht! Welche Maßnah- men bietet ihr denn an, um vor allem auch die Nicht- schwimmerquote zu senken? Seit 2020/2021 bieten wir kostenlose Schwimm- kurse an. Kostenlos sind diese Kurse auch des- halb, da es ja nicht nur unterschiedliche Perso- nen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte sind, die schwimmen lernen möchten, sondern auch viele sozial Benachteiligte, die nicht das Geld aufbringen können, um sich oder ihren Kindern einen Schwimmkurs zu leisten. Diese Kurse bie- ten wir sowohl auf Deutsch als auch auf Eng- lisch an. Somit versuchen wir sowohl die finan- „Integration durch Sport“ wird vom DOSB und seinen Mitgliedsorganisationen, den Landessportverbänden, durchgeführt. Gefördert wird es durch das Bun- desministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). zielle als auch die sprachlichen Barrieren so gut es geht niedrig zu halten. Dieses Angebot sprach sich irgendwann auch herum wie ein Lauffeuer, wir mussten kaum Werbung machen. Da hat die Mutter eines Kindes, dem Vater eines anderen Kindes erzählt, dass dies bei uns möglich ist, der wiederum erzählt es wieder jemandem weiter, auch die Kinder untereinander tauschen sich aus – und das ist sicherlich auch nochmal ein ent- scheidender Aspekt bzw. eine Barriere, die wir damit abbauen konnten: Die soziale Barriere. Wenn ich vorab schon weiß, dass in einem Verein Menschen trainieren, die ich kenne, wenn mir ver- traute Personen etwas empfehlen oder mir er- klärt wird, wie genau die Anmeldung oder das Training vor Ort abläuft, dann ist die Motivation vorbeizukommen sicherlich nochmal deutlich höher und die Schwelle des „Sich-nicht-Trauens“ deutlich niedriger gesetzt, da ich ungefähr weiß, was mich erwartet. Und wie konnte euch die Förderung über IdS helfen, die Maßnahmen umzusetzen? In erster Linie hatten wir durch die Mikropro- jektförderung eine Anschubfinanzierung. Für unsere Übungsleiter*innen, Trainier*innen oder auch für Materialien wie Schwimmnudeln usw. Jetzt durch die Stützpunktvereinsförderung kön- nen wir natürlich noch entspannter kalkulieren. Es ist beruhigend zu wissen, dass wir nicht so schnell in die Lage kommen, Beiträge zu erhö- hen oder dass wir Aktionen wie beispielsweise einen Ausflug in ein Spaßbad weiterhin planen und umsetzen können. Auch die vielen kosten- losen Fortbildungsangebote von IdS sind für die integrative Arbeit im Verein immer sehr wertvoll. Also nicht nur finanziell, sondern auch ideell ist die Förderung über IdS wirklich sehr gewinn- bringend. Das freut uns sehr zu hören! Wir sind auch schon sehr gespannt weiterhin mit euch zusammenzu- arbeiten und mehr von euch zu hören! Vielen Dank für deine Zeit und die interessanten Einblicke! Nächste Veranstaltungen 26. Juni und 3. Juli 2024 Vielfalt in Bewegung – sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Sport stärken https://event.bsb- net.org/ifver/html/addons/ SportBizIfVer/default.html? VerNum=2024-0205 27